Startseite › Loriter Chroniken › Reisetagebücher › Jahr 1019 DF › Wilde Zwillingsmark

Wilde Zwillingsmark

Schließlich hatte Allena den entscheidenden Einfall, ich sollte mir auch das Fässchen genauer ansehen um zu ergründen wer es vergiftet und der Magd gegeben hatte. Um den Knappen zu retten – oder ihm selbst den Todesstoß zu versetzten – ignorierte ich meine innere Stimme, die mir brüllend versuchte klar zu machen, dass ich mich selbst in größte Gefahr begab, wenn ich das Fässchen, welches zuvor einen Menschen vergiftet und getötet hatte, auch nur berührte. Ich nahm das Fässchen behutsam in die Hand und konzertierte meine Sinne auf die Geschichte des Gegenstands.

Ich sah, wie ich vor einem Spiegel stand, ich blickte in das Gesicht der noch lebendigen Magd, und goss eine dunkle, übelriechende Flüssigkeit aus einer Schöpfkelle in das Tintenfässchen. Ich verlies mein Zelt und ging zu dem Kommandozelt, schob die Zeltwände beiseite und trat ein. Das Tintenfässchen mit der beigemengten, tödlichen Saat in meiner Hand, holte ich noch einmal tief Luft, hauchte ein ‚es tut mir leid‘ in die leere des Zeltes und trank – selbst über mein Handeln schockiert und angewidert – das Tintenfässchen aus.
Zu meinem Glück, endete die Vision der Geschichte des Gegenstands bevor mich und die Magd die Schmerzen des nahenden Todes ereilten. 

Es war wohl dieser Sachverhalt, der den Ausschlag gab. Die Richter befanden – sehr zum Missfallen des Zwillingsordens – den angeklagten Knappen für unschuldig und bestätigten, dass die Tat in ihren Augen kein Mord, sondern ein Akt der Gnade gewesen war. Der Knappe wurde zähneknirschend frei gelassen. Keine zehn Augenblicke später, hatte er das Lager – und vermutlich auch den Orden – verlassen und war verschwunden, was die Mitglieder des Ordens nur noch mehr erzürnte. Wir vermuteten alle, dass der Knappe das Risiko nicht eingehen wollte, dass der Orden es sich nach unserer Abreise noch einmal anders überlegen würde. Vernünftige Einstellung, wie ich finde. 

Man beratschlagte kurze Zeit später wie man nun weiter in Sachen Nekromant vorgehen sollte, als ein Bote des Ordens ins Lager gerannt kam. Ein Befehl von der Hauptstadt beorderte die Delegation der Zwillingsjünger zurück, es hätte einen Anschlag geben. Mittlerweile war es schon dunkel geworden und dennoch brachen die Mitglieder des Ordens sofort auf, nachdem der Hauptmann Torgar die Führung übergeben hatte und machten sich auf in die Hauptstadt, die mehrere Tagesreisen entfernt lag. Hätte das wirklich einen Unterschied gemacht? Für uns wirkte es mehr, als wäre diese Botschaft oder zumindest die Dringlichkeit vorgeschoben worden um sich aus der Affäre zu ziehen und das Gesicht zu wahren, nachdem sie die Gerichtsverhandlung verloren hatten. 

Während des Abends wurden wir immer wieder etwas unmotiviert von den Wildlingen angegriffen und aus diesem Grund – und auch weil die ungeordneten magischen Ströme im Wald wieder stabilisiert werden mussten – beschlossen wir das zu tun, was uns der Orden verweigert hatte. Wir verfrachteten die arkane Maschine zurück in den Wald an ihren ihr bestimmten Platz inmitten der vier Runensteine.

Interessanterweise wurden wir während des Transports zwar argwöhnisch von den Wildlingen beobachtet, doch nicht angegriffen. Rungard wollte sich vor Ort noch einmal ansehen ob die Maschine richtig positioniert worden war und sie vielleicht selbst die magischen Energien wieder stabileren konnte. Der Rest versuchte die zornigen Wildlinge zurück zu drängen, die offensichtlich nicht wollten, dass wir uns länger als nötig an ihrem heiligen Ort aufhielten. Bevor die Sache eskalierte, zogen wir uns zurück. Rungard deutete allerdings an, dass wir morgen möglicherweise noch einmal zurück kehren mussten um etwas nachzuhelfen, da die Maschine und die Kraftlinien noch nicht geordnet und im Einklang waren. 

Nachdem wir uns zurückzogen und keine weiteren Anstalten machten, an ihrem Heiligtum zu verweilen, blieben wir auch am Rückweg von den Wildlingen unbehelligt.
Kurz vor der Taverne fanden wir am Wegesrand eine Leiche. Ein Mensch, der dem Zustand nach schon mehrere Tag Tod war, lag dort vielleicht einen Schritt abseits des Weges. Da wir ihn am Hinweg zu den Runensteinen nicht gesehen hatten, lag die Vermutung nahe, dass die Wildlinge den Mann dort abgelegt hatten, möglicherweise nachdem sie ihn auch getötet hatten.

Man beschloss, es für heute gut sein zu lassen und sich der Leiche in den ersten Morgenstunden anzunehmen und dann weiter zu beratschlagen was man mit den Wildlingen und in der Sache mit dem Nekromanten unternehmen wollte. Gerade die Suche nach dem Nekromaten hatte bei den Kirchenangehörigen unter uns die höchste Priorität. Was sie immer und immer wieder klar zu machen versuchten.