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Wilde Zwillingsmark

Die zweite Gelegenheit, die an diesem Abend die Geisteshaltung des neuen Zwillingsordens plakativ darlegte, war leider weniger von arkaner oder technischer Natur. Während man noch debattierte wie und was mit der arkanen Maschine zu passieren hatte entstand um das Kommandozelt ein Tumult und der Orden ließ alle Gäste sofort vom Kommandozelt entfernen. Nachdem Torgar intervenierte und darauf bestand zu erfahren was vorgefallen sei, wurden die Gäste – die immerhin gekommen waren um der Zwillingsmark in einer Notzeit bei zu stehen – schließlich doch ins Vertrauen gezogen. Eine junge Magd wurde ermordet im Kommandozelt aufgefunden. Die Anwesenden Gäste wie auch Zwillingsjünger waren sichtlich schockiert. Bei all der offen zur Schau getragenen radikalen Einstellung und Ingoranz, war die Bestürztheit der Ordensmitglieder ehrlich und nicht vorgetäuscht, soweit ich das beurteilen konnte.

Das Angebot, dass man bei den Untersuchungen des Mordes behilflich sein wollte, wurde vorerst ausgeschlagen, es sei eine Sache des Ordens, hieß es. Doch hielt diese Einstellung nicht lange, denn so schien es, war die Todesursache nicht klar. Zum einen sei die Magd vergiftet worden, aber auch mit einem Dolch erstochen. Entweder derjenige der sie umzubringen gedachte, war ungeduldig gewesen, oder irgendetwas war äußerst seltsam an der Sache. Dies war auch dem Zwillingsorden wohl bewusst, denn schließlich baten sie die Gäste doch um ihre Mithilfe. 

Als erstes machte sich unsere Heilerin, Kräuter- und Alchemiekundige Allena an die Arbeit und begann behutsam und vorsichtig die tote Magd zu untersuchen um die Vermutungen zu bestätigen. Sie stellte fest, dass die Magd tatsächlich zuerst vergiftet und während sie der Vergiftung erlag von einem Dolchstoß in die Brust getötet worden war. Nach kurzer Suche wurde auch der blutüberströmte Dolch im Kommandozelt gefunden. Es stellte sich heraus, ich nehme an Allena hat diesen Umstand entdeckt, dass das Gift eingenommen werden musste und dass wohl das Tintenfässchen, welches auf dem Tisch im Kommandozelt stand, vergiftet worden und dass die Magd wohl damit in Berührung gekommen war. Unsere erste Vermutung war, dass der Giftanschlag nicht der Magd, sondern vielmehr einem der Zwillingsjünger gegolten hatte. Möglicherweise einem der Anführer? Immerhin waren die Mitglieder dieses neuen Ordens nicht sonderlich beliebt in der Umgebung, hatten sie im Winter ohne große Verhandlung den Wirt der Taverne auf den Scheiterhaufen gestellt. Der Argwohn der Bevölkerung war also nicht gänzlich unbegründet. Doch so einfach wollte man es uns nicht machen. 

Eine Durchsuchung des Lagers ergab, dass in einem der Zelte ein Rezept zu einem äußerst wirksamen Gift gefunden wurde, das Allena und ein anderer anwesender Alchemist als die Vorlage für das Gift bestätigten. Der Ort, wo das Gift zubereitet worden war, konnte indes ebenfalls ausfindig gemacht werden. Wir wussten nun wie und wo das Gift hergestellt worden war, aber nicht von wem. Einige von den Gästen, kamen nicht umhin zu vermuten, dass am Ende der Orden selbst nicht ganz das war, was er uns Versuchte weiszumachen.

Ich kam auf die Idee mir den Dolch im speziellen genauer an zu sehen, ihm seine Geschichte der letzten Stunden zu entlocken. Ich konzentrierte mich auf den Dolch, versuchte mich in seine Geschichte einzustimmen und bekam einen kurzen Einblick gewährt. 

Mit den Augen des Dolchmörders sah ich wie dieser ins Zelt kam und die Magd sah. Diese hatte vor Schmerz und Panik weit aufgerissene Augen. Die Pupillen groß wie dunkle Öffnungen in eine weiße Felswand. Sie keuchte, röchelte und ihr Körper wurde von heftigen Krämpfen geschüttelt und die Agonie, die in der Luft lag, war fast schon zu schmecken. Ich sah nach unten, suchte nach dem Knauf meines Dolches und meine Finger fanden ihn und umschlagen den Griff. An meiner linken Brust, welche in ein blaues Wams gehüllt war, erkannte ich ein Schild, ein Emblem. Darunter konnte ich nur die Worte „Knappe“ erkennen. Dann wanderte mein Blick wieder zu der Frau und Ich zog den Dolch. Mit einem kräftigen Griff, wie er nur einem Mann gehören konnte, packte ich die Frau am Arm um ihre wie Peitschen herumschlagenden Arme festzuhalten und rammte ihr den Dolch brutal in die Brust.

Ein roter, warmer Schwall des Lebenssaftes ergoss sich über die Klinge und meine Hand, dann erwachte ich aus meiner Trance. Immer noch das Gefühl des warmen Blutes auf meiner Hand spürend eilte ich zu Torgar und berichtete was ich gesehen hatte. 

Das beutete, dass wir jemanden suchten der auf seinem Wams unter anderem den Rang „Knappe“ trug. Glücklicherweise gab es in den Reihen der Zwillingsjünger nur zwei Personen, die diesen Rang bekleideten. Eine junge äußerst attraktive, dennoch zierliche Frau mit rötlichem Haar und ein junger Mann. Da wir durch meine Vision wussten, dass wir nach einem Mann suchten – die Größe der behandschuhten Hände passte nicht zu der jungen Frau – schied die junge Frau zum Glück aus, zumal ihr Wams orange nicht blau, wie das des Burschen, war. 

Der junge Mann wurde festgenommen und Torgar erbat sich, das Verhör zu führen. Schwester Viola rief die gütige Herrin Isana an, ihr ein Zeichen zu geben, sollte der Knappe bei dem Verhör lügen. Zuerst versuchte der Knappe es noch mit Ausflüchten, doch als Torgar ihn etwas unter Druck setzte, gestand er die Tat. Er hatte sie nicht umbringen wollen, zumindest nicht aus niederen Beweggründen, beteuerte er. Er kam ins Zelt und fand die Magd von Krämpfen geschüttelt am Boden. Er hatte schon oft Derlei gesehen und wussten, dass für sie jede Hilfe zu spät gewesen war, daher wollte er ihr unnötiges Leid ersparen. Der Mord, ein Akt der Gnade. 

Den Umstand, dass der Knappe offensichtlich entweder log oder nicht der eigentliche Mörder war, lies der Orden außer Acht. Sie wollten direkt zur Verurteilung schreiten, denn in ihren Augen gab es nur eine Art auf die Situation zu reagieren. Der Knappe musste hingerichtet werden. Lange habe ich um das zweite Beispiel für die radiale Ideologie und Geisteshaltung des neuen Ordens herumgeredet. Dieser letzte Punkt ist dennoch der entscheidende! Es war ihnen völlig einerlei ob der Knappe aus Gnade oder Ruchlosigkeit der Magd den Dolch in die Brust getrieben hatte. Für sie war der Umstand, dass er sie getötet hatte – oder vielmehr dem Gift zuvorgekommen war, denn Allena bestätigte nach einer Analyse des Giftes, dass jede Hilfe zu spät gekommen wäre – der einzig wichtige und ausschlaggebende. 

Sie wollten den Knappen hier und jetzt hinrichten. Torgar dem Besonnenen, war es schließlich zu verdanken, dass sie ihre Meinung änderten. Er konnte, möglicherweise durch seinen in der Zwillingsmark bekannten tadellosen Leumund, den Kommandanten umstimmen, dass die Schuld noch nicht gänzlich bewiesen war und dass eine ordentliche Gerichtsverhandlung nicht nur nötig sondern auch im Sinne der Zwillinge und den Gesetzten der Mark waren. Verständlicherweise konnte der Orden diesen Argumenten nur schwer beikommen, so stimmten sie zu eine Gerichtsverhandlung abzuhalten, um die Schuldfrage zu klären. Den Vorsitzt und die endgültige Entscheidung sollte nicht der Orden, sondern gewählte Vertreter der anwesenden Gäste haben. 

In der Verhandlung versuchte der Orden wieder klar zu stellen, dass sie nur eine Art der Bestrafung vorsahen und versuchten jeden Beweis oder jedwedes Argument, das für den Knappen sprach beiseite zu wischen. Langsam aber sicher begann das Blatt zu Gunsten des Ordens zu kippen und der Knappe blickte dem sicheren Tod ins Auge. Schließlich kam die Frage auf, wer denn dann das vergiftete Tintenfässchen ins Zelt gebracht hatte und warum die Magd sich an diesem Fässchen vergiftet hatte. Diese Frage schien schließlich die Gretchenfrage zu werden, die darüber entschied ob der Knappe leben oder sterben würde.